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Unser Leben spielt sich in einer Welt voller Sinneseindrücke ab. Tatsächlich sind an fast allen Erfahrungen, die wir erleben, von Mahlzeiten bis hin zu Konzerten, alle unsere Hauptsinne beteiligt – Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen.
Die Verbrauchertechnologie beschränkt sich jedoch oft nur auf den Seh- und Hörsinn.
„Obwohl interaktive Technologien ein unerlässlicher und allgegenwärtiger Teil unseres Alltags geworden sind, kommen beim durchschnittlichen Nutzungserlebnis nur das Sehen und das Hören zum Einsatz“, so Marianna Obrist, Professorin für multisensorische Schnittstellen am University College London (UCL).
Im Rahmen des vom Europäischen Forschungsrat unterstützten, EU-finanzierten Projekts SenseX entwickelt Obrist die Anwendung eines sogenannten „multisensorischen Erfahrungsdesigns“ weiter – ein Design, das alle Sinne anspricht. „Die Tast-, Geschmacks- und Geruchssinne spielen eine erhebliche Rolle für unsere Gesundheit, unsere Sicherheit, in der Freizeit, auf der Arbeit und für unser Wohlbefinden im Allgemeinen“, fügt sie hinzu. „Wenn wir daher Erfahrungen für alle Sinne in interaktive Technologien auf benutzungsfreundliche Weise einbinden können, entsteht dadurch möglicherweise die Gelegenheit, völlig neue Produkte, Technologien und Dienstleistungen anzubieten.“
Die Grundlagen des Erfahrungsdesigns für alle Sinne
Bevor Technologieunternehmen Erfahrungen für alle Sinne anbieten können, benötigen sie erst ein Verständnis davon, was möglich ist – und genau da kommt das Projekt SenseX ins Spiel. „Unser Ziel war es, die Grundlagen des Erfahrungsdesigns für alle Sinne zu umreißen und konkrete Beispiele anzugeben, wie das Tasten, Schmecken und Riechen durch das Design in die Benutzungserfahrung eingebunden werden können“, merkt Obrist an.
Zu diesem Zweck mussten die Forschenden nicht nur neue, noch nicht existierende Geräte und Schnittstellen entwickeln, um den Geruchs- und Geschmackssinn anzusprechen, sondern auch ein Verständnis davon entwickeln, wie gut es ihnen gelang, entsprechende Sinnes- und Wahrnehmungseindrücke zu erzeugen. Diese Faktoren der Technologie und Wahrnehmung wurden dann zur Entwicklung von Erfahrungen für alle Sinne verwendet, von denen viele im wegweisenden Buch „Erfahrungen für alle Sinne: Wo die Sinne auf Technologie treffen“ vorgestellt werden.
Laut Obrist nimmt das Buch die Lesenden auf eine Reise von den Grundlagen der Erfahrungen für alle Sinne über eine Betrachtung der Beziehung zwischen den Sinnen und Technologie bis hin zu Zukunftsperspektiven dieser Erfahrungen mit. „Dieses Buch beschreibt den digitalen Wandel, und wie wir neuartige Schnittstellen und Interaktionen gestalten können, die alle unsere Hauptsinne einbinden“, erklärt sie.
Eine schmackhafte Idee
Betrachten wir zum Beispiel TastyFloats, eine der Erfahrungen für die Sinne, die in dem Buch vorgestellt werden. TastyFloats zielt darauf ab, Geschmackserlebnisse zu vermitteln, um den Anwendenden eine genüssliche und bedeutsame Interaktion zu bieten. „Mit anderen Worten: Wir wollten den Benutzenden keine Schläuche in den Mund oder in die Nase stecken oder ihre Zungen elektrisch stimulieren“, so Obrist.
Statt Schläuchen und Drähten beruht die Erfahrung auf den Prinzipien der akustischen Levitation. Obrist erklärt, dass bei der akustischen Levitation hochintensive Schallwellen zum Einsatz kommen, um Stoffe, in diesem Fall Geschmackstoffe, in der Luft schweben zu lassen. „Wir entwickelten ein kontaktloses Bereitstellungsgerät, das Geschmacksreize in die Luft abgibt, ohne auf weitere Hilfsmittel angewiesen zu sein“, merkt Obrist an. „Die Anwendenden können mit diesen Geschmacksreizen mit ihrer Zunge nach Belieben interagieren.“
Nachdem sie Geschmacksstoffe erfolgreich zum Schweben gebracht hatten, wandten sich die Forschenden den Fragen zu, wie diese schwebenden Geschmacksreize schmecken, wie sie sich auf die Geschmackswahrnehmung der Menschen auswirken und was geschieht, wenn auch andere Wahrnehmungsreize eingebunden werden. „Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die Grundlagen für die Gestaltung von Erfahrungen für alle Sinne zu schaffen, die letztendlich in unsere Alltagsgeräte eingebunden werden können“, so Obrist.
Die Forschenden arbeiteten auch mit der Londoner Kunstgalerie Tate Britain zusammen, um das Tate Sensorium zu erschaffen – eine Fallstudie, wie Touch- und Audio-Technologien genutzt werden können, um Kunsterfahrungen für mehrere Sinne zu erschaffen. „Diese Initiative zeigte auf, wie der Bereich Mensch-Computer-Interaktion, die Kreativbranchen und Kunstausstellende Schwebstofftechnologien verwenden können, um über herkömmliche Kunsterfahrungen hinauszugehen und etwas zu erschaffen, das emotional ansprechender und stimulierender ist“, fügt Obrist hinzu.
Bahnbrechendes Potenzial
Das Projekt SenseX ist nun zwar abgeschlossen, doch seine Arbeit ist noch nicht beendet. Die Forschungsgruppe des Projekts gründete ein Spin-off-Unternehmen namens OWidgets, um seine sinnesbezogenen Innovationen weiterzuentwickeln. Das Unternehmen schloss kürzlich eine Finanzierungsrunde ab, bei dem es sich etwa 1 Mio. EUR sichern konnte, um sein Team zu erweitern und weitere Forschungs- und Innovationsinitiativen in ganz Europa zu fördern.
Darüber hinaus pflegt Obrist selbst die vielen Kooperationen mit der akademischen und industriellen Welt, die im Laufe des Projekts aufgebaut wurden. Als stellvertretende Direktorin für digitale Gesundheit des Instituts für technisches Gesundheitswesen des UCL lotet sie nun aus, wie die Forschung von SenseX zu ganzheitlichen Erfahrungen genutzt werden kann, um Probleme im Gesundheitswesen und des Wohlbefindens anzugehen.
„Ich bin davon überzeugt, dass diese jüngsten Entwicklungen und Kooperationen, von denen viele vom Spin-off OWidgets vorangetrieben werden, das bedeutende und bahnbrechende Potenzial von Erfahrungen für alle Sinne hervorheben werden – nicht nur für Alltagsgeräte, sondern auch für fortschrittliche Technologien, die die Zukunft des Gesundheitswesens, des Verkehrs und der Forschung bestimmen werden“, schließt Obrist.