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Research and Innovation

Historische Gerüche wiederentdecken

Gerüche, die ein starkes, aber oft übersehenes Element der menschlichen Erfahrungswelt bilden, haben zutiefst die Gesellschaft geprägt. Von religiösen Ritualen bis hin zum Alltagsleben können historische Gerüche und Düfte komplexe Geschichten erzählen. Da es aber nur wenige Möglichkeiten gibt, sie zu bewahren, sind diese olfaktorischen Narrative in den vergangenen Jahrhunderten verlorengegangen. Im Rahmen des EU-finanzierten Projekts ODEUROPA wurde die Bedeutung von Gerüchen für das kulturelle Erbe Europas untersucht.

© lizavetta #205515999 | source: stock.adobe.com

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Wie roch das Europa der Vergangenheit? Für einen anonymen Autor war Amsterdam „eine wunderschöne Jungfrau mit einem stinkenden Atem“, während der französische Schriftsteller Albert Camus vom „Atem des stehenden Wassers, dem Gestank der toten Blätter, die im Kanal aufweichen, und dem Begräbnisduft, der von den mit Blumen beladenen Kähnen ausgeht“ schrieb.

Diese Beschreibungen sind nur zwei von vielen, denen das Team des EU-finanzierten Projekts ODEUROPA seine Aufmerksamkeit widmete, als es drei Jahre lang die oft übersehene Geschichte der Gerüche erforschte. Die Rolle von Gerüchen in historischen Kontexten wurde bisher weitgehend vernachlässigt, und ungeachtet des wachsenden Interesses an multisensorischen Erfahrungen fehlt es den Museen an den notwendigen Instrumenten und Daten, um dem Stellenwert von Aromen innerhalb des kulturellen Erbes nachzugehen.

Das ODEUROPA-Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns dabei zu helfen, das olfaktorische Wissen wiederzuentdecken, das in den Archiven, Manuskripten, Kunstwerken und historischen Materialien schlummert. 

Aromen aus der Vergangenheit

Um die verlorengegangenen historischen Gerüche wiederzufinden, wurden im Zuge von ODEUROPA Technologien zum sensorischen Data Mining entwickelt, bei denen modernste Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) und semantische Technologien zum Einsatz kommen, um europäische Sammlungen des digitalen Erbes in sieben Sprachen und aus vier Jahrhunderten zu analysieren.

Es wurden Computer darauf trainiert, „Geruchsereignisse“ in diesen Texten und Bildern zu erkennen sowie Wörterverzeichnisse, Räume, Ereignisse, Praktiken und mit Gerüchen und dem Riechen verbundene Emotionen kartiert. Ergebnis war eine Sammlung von über 2,5 Millionen Geruchsreferenzen oder „über die Nase wahrgenommenen Zeugenaussagen“, welche die Grundlage für die Enzyklopädie der Geschichte und des kulturellen Erbes des Geruchs (Encyclopedia of Smell History and Heritage) sowie für den Geruchserkunder (ODEUROPA Smell Explorer) des Projekts bilden.

„Ich war verblüfft, dass die sensorischen Methoden so gut funktionierten“, sagt Projektkoordinatorin Inger Leemans von der Königlich Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften (KNAW). „Ich denke, dass unsere intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit die Basis des Erfolgs war. Der Wechsel zwischen Maschinen- und Expertenwissen führte zu sehr grundlegenden Gesprächen darüber, ‚was Geruch eigentlich bedeutet‘.“

Das Projektteam arbeitete mit unabhängigen Fachleuten und Parfümsachverständigen vom Unternehmen International Flavors & Fragrances (IFF) zusammen, um diese historischen Gerüche nachzuempfinden. Das Team setzte auf chemische Analysen, historische Recherchen, Umfragen und Feldforschung, um Düfte aus der Vergangenheit wiederherzustellen. 

Beispiele sind das Amsterdam des 17. Jahrhunderts – eine stechende Mischung aus verrottendem Eichenmoos, Mist, Pferdeschweiß und Lindenblüten – und eine Nachstellung der Schlacht von Waterloo: Schießpulver, Pferdeschweiß, und dazu die schwachen Petitgrain- und Nerolinoten von Napoleons Kölnischwasser.

Diese nachempfundenen Düfte sind nun Teil der Sammlung historischer Gerüche (ODEUROPA Historical Scent Collection), die eine sensorische Brücke in vergangene Zeiten schlägt.

Das kulturelle Erbe stärker fühlen

Bei der Arbeit von ODEUROPA ging es um mehr als nur die Mission, historische Aromen wiederaufleben zu lassen. Im Rahmen des Projekts wurden anhand akribischer Forschung Methoden entwickelt, mit denen Galerien, Bibliotheken, Archive und Museen das Erzählen olfaktorischer Geschichten in ihre Sammlungen aufnehmen können. Zudem wurde projektintern festgestellt, dass die Arbeit mit Gerüchen die Wirkung dieser Kulturerbeinstitutionen erheblich verstärkt:

„Olfaktorisches Geschichtenerzählen kann mehr Besucherinnen und Besucher anziehen sowie deren Beteiligung und Bindung verbessern. Es geht nicht nur um den ‚Wow-Effekt‘ bei Gerüchen in einem Museum oder um die Schaffung realistischerer Erfahrungen. Die Menschen lernen In einer multisensorischen Umgebung mehr über Kunstwerke und Stätten“, fügt Leemans hinzu.

Die zum Projekt zählenden Instrumente und Ressourcen wie zum Beispiel das Instrumentarium zum olfaktorischen Geschichtenerzählen (Olfactory Storytelling Toolkit) verschaffen Museen einen Rahmen zur lebendigen Vermittlung von Geschichte durch Düfte. Kulturerbeinstitutionen verfügen nun über die Mittel, diesen oft übersehenen Aspekt unserer Vergangenheit zu erforschen und den Besucherinnen und Besuchern zu präsentieren.

Weltweite Anerkennung

Der Erfolg von ODEUROPA wurde weltweit anerkannt, und das Projekt wurde auf Platz 53 der Liste „The Future 100: Trends and Change to Watch in 2023“ (Die 100 der Zukunft: Zu beobachtende Trends und Veränderungen im Jahr 2023) der globalen Kommunikationsagentur Wunderman Thompson gesetzt. Obwohl Geruch eher ein Nischenthema zu sein scheint, hat die Bekanntgabe der Projektfinanzierung weltweit großes Medieninteresse ausgelöst, was das weitverbreitete Interesse am olfaktorischen Kulturerbe unterstreicht. Leemans dazu: „Wir haben internationalen Zeitungen, Fernseh- und Radiosendungen sowie Onlineportalen im Zusammenhang mit dem Nachbau historischer Düfte Hunderte Interviews gegeben. Das war für ein derart interdisziplinäres und komplexes Projekt von großem Vorteil.“

Dieser interdisziplinäre Aspekt spiegelt sich darin wider, dass viele Mitglieder des Teams noch nie zuvor speziell mit Gerüchen gearbeitet hatten. Die Informatikteams von ODEUROPA verfügten über umfangreiches Fachwissen in den Bereichen Bilderkennung, Textmining und Semantikwebverfahren für Daten des kulturellen Erbes.

Das Erbe des Geruchs

Die Ergebnisse von ODEUROPA tragen dazu bei, unsere Beschäftigung mit der Kulturgeschichte zu verändern, indem die Macht der Gerüche hervorgehoben wird. Mit der bahnbrechenden Arbeit des Teams wird ein multisensorischer Ansatz zur Bewahrung und Präsentation des Erbes eingeführt und auf diese Weise eine tiefere Verbindung zu Europas reichem kulturellen Erbe geschaffen.

Durch Ressourcen wie dem ODEUROPA Smell Explorer, der Encyclopedia of Smell History and Heritage und dem Olfactory Storytelling Toolkit wird im Zuge des Projekts sichergestellt, dass in den kommenden Jahren historische Düfte unser Verständnis der Vergangenheit bereichern werden.

„Wir setzen uns wirklich dafür ein, dass die Menschen ‚geruchserfahrener‘ werden“, versichert Leemans abschließend. „Und die Bewahrung und Rekonstruktion von Düften aus der Vergangenheit wird dazu beitragen, das historische kulturelle Erbe für die Zukunft zu sichern.“

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Einzelheiten zum Projekt

Kurztitel des Projekts
ODEUROPA
Projekt-Nr.
101004469
Projektkoordinator: Niederlande
Projektteilnehmer:
Frankreich
Deutschland
Italien
Niederlande
Slowenien
Vereinigtes Königreich
Aufwand insgesamt
€ 2 807 780
EU-Beitrag
€ 2 807 780
Laufzeit
-

Siehe auch

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